In den letzten Sitzungen des Proseminars im Rahmen des
Geschichtsstudiums sprachen wir über Eurozentrismus. Wir sprachen über
feministische Ansätze zur Geschichte. Es ist also ein wichtiges Thema (nicht
nur) in den Geschichtswissenschaften aus seiner eigenen Sicht, zumindest
teilweise, herauszutreten und auch für andere Perspektiven auf die Geschichte
offen zu sein.
Ein relativ junges neues Forschungsfeld sind die
Human-Animal-Studies. Dieser Ansatz kritisiert den Anthropozentrismus in den
Sozial- und Geisteswissenschaften und somit auch in den
Geschichtswissenschaften. Interessanterweise stammen viele Forschende in diesem
Bereich aus den Gender Studies.
Den meisten Leuten leuchtet ein, dass es Sinn macht Tiere in
die Geschichtsschreibung miteinzuschliessen. Was dann aber dargestellt wird,
ist dann eine Geschichte zur Beziehung der Menschen zu den nichtmenschlichen
Tieren. Das wäre aber nichts anderes als eine Ideengeschichte, was wiederum
nichts Neues wäre.
Ich schlage also den Begriff der „Tiergeschichte“
(„Animal-History“) vor, auch wenn dieser zu weiteren Problemen führt. Im Grunde
sind ja Menschen auch Tiere und wären somit eingeschlossen, was ich ja
eigentlich vermeiden will. Der Einfachheit halber verwende ich „Tiergeschichte“
anstatt von anderen möglichen Ausdrücken wie „nicht-menschliche Tiergeschichte“.
Möglicherweise taucht irgendwann auch ein neutraler Begriff auf. Aber im Grunde
ist die Unterteilung Mensch und nicht-menschliche Tiere auch schon selber
relativ naiv, weil im Begriff „nicht-menschliche Tiere“ Millionen von Spezies
eingeschlossen sind, die menschliche Zahl weit übertreffen. Diese Diskussion
müssen wir aber in einem weiteren Essay weiterführen.
Analog zur Geschlechtergeschichte schlage ich eine „Speziesgeschichte“
vor, welche sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und nicht-menschlichen
Tieren beschäftigt. Wie bei der Frauengeschichte und der
Geschlechtergeschichte, braucht eine Klasse eine eigene Geschichtsschreibung
und kann gleichzeitig eine haben, welche sich mit den Verhältnis von anderen
Klassen kümmern kann.
Wo also ansetzen? Bekanntlich hinterlassen nichtmenschliche
Tiere keine schriftlichen Quellen. Nur ignoriert man ja auch nicht
nicht-schreibkundige, arme Bauern im Mittelalter. Für solche Schichten
interessiert man sich ja heute besonders.
Wenn etwas von der Annales-Schule geblieben ist, dann ist es
die Forderung nach Methodenvielfalt. Dieser Appell zu Methodenvielfalt hat die
feministische Geschichtsschreibung beeinflusst und sollte meiner Meinung nach
auch die nicht-anthropozentrische Historiografie inspirieren. Man muss kreativ
sein, denn klassische schriftliche Quellen sind nicht vefügbar.
Ein möglicher Ansatz ist die bestehende Archäozoologie,
welche aber bisher immer wie oben kritisiert die Beziehung zwischen Mensch und
nichtmenschlichem Tier beobachtet. Hier muss also tendenziell auch einmal
Forschung betrieben werden, die eben keine anthropozentrische ist. Was ich hier
fordere ist keine Vermenschlichung der nichtmenschlichen Tiere, aber bis zu
einem gewissen Grad sollte man sich in die nichtmenschliche Perspektive
begeben.
Ich persönlich finde es auch wichtig an den Kern des
Problems zu kommen: Es braucht keine Sprache oder eine praktische Vernunft für
ein historisches Bewusstsein. Auch nicht-intentionale Aktionen können die
Geschichte in die eine oder die andere Richtung bewegen. Viele Autoren fassen
diese verfehlte Einstellung mit dem Begriff des „Logozentrismus“ zusammen.
Welchen Fragen sollte sich eine solche Speziesgeschichtsschreibung,
die ich oben skizziert habe, stellen? Aus meiner Sicht ist eine der
interessantesten Fragen: Was war zuerst vorhanden? Die Unterdrückung der Tiere
oder gab es dazu vorher eine Ideologie?
Die Frage impliziert, dass es praktisch zwei Lager gibt: Das
eine moralphilosophische Lager, das behauptet, dass die Ideologie, dass Tiere
grundsätzlich unter dem Menschen stehen (der sogenannte Speziesismus) zuerst
existiert und die Menschen daher die anderen Tiere unterdrücken und ausbeuten. Das
zweite Lager ist ein marxistisch inspiriertes Lager, welches behauptet, dass
die Ideologie entstanden ist, weil nicht-menschliche Tiere ausgebeutet und
unterdrückt werden müssen.
Diese beiden Ansätze haben sicher ihren Platz verdient, nur
sind beide sehr theoretisch. Hier kommt nun die „Speziesgeschichte“ ins Spiel.
Sie muss sich nun mit der Frage beschäftigen, ob man konkrete Belege für diese
zwei Ansichten gibt oder ob es vielleicht sogar eine dritte Möglichkeit gibt.
Eine „Tiergeschichte“ wird wohl an einem ähnlichen Punkt zum
Ansetzen wählen, nur wird sie die Perspektive der nicht-menschlichen Tiere
einnehmen. Oder grundsätzlich kann man sich in der „Tiergeschichte“ fragen wie
das Leben für nicht-menschliche Lebewesen war. Die Archäozoologie könnte hier
beispielsweise Belege liefern, beispielsweise mit detaillierten
Knochenanalysen.
Bibliografie
Fudge, Erica: A Left-Handed Blow. Writing the History of
Animals, in: Nigel Rothfels (Hg.): Representing Animals, Bloomington 2002,
S.3-18.
Bellanger, Silke/Hürlimann, Katja/Steinbrecher, Aline (Hg.):
Schwerpuntktheft. Tiere – eine andere Geschichte“, Traverse 3, 2008.
Roscher, Mieke: Where ist he animal in this text? Chancen
und Grenzen einer Tiergeschichtsschreibung, in: Chimaira - Arbeitskreis für
Human-Animal Studies (Hg.): Human-Animal Studies. Über die gesellschaftliche
Natur von Mensch-Tier-Verhältnissen, Bielefeld 2011, S.121-150.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen