Montag, 13. April 2020

Verschwörungsideolog*innen in der Corona-Krise

 Krisenzeiten sind Zeiten für Verschwörungstheorien. So habe ich das damals schon in meiner Masterarbeit zum antijüdischen Pestprogrom im mittelalterlichen Zürich im Februar 1349 festgestellt. In Krisenzeiten haben Menschen das grosse Bedürfnis Dinge erklären zu können und vor allem mit dem Finger auf die klare Ursache zeigen zu können.

Ich nehme mich da nicht aus, ich bemerke das bei mir selber auch. Trotzdem sollte man sich die Mühe machen, sich nicht auf solche Begierden einzulassen. Gerade bei der Bekämpfung einer Pandemie ist kritisches Denken und daher weder Kleinreden der Krise noch übertriebener Obrigkeitsgläubigkeit angemessen.

Folgender Gedanke ist mir in den letzten Tagen immer wieder durch meinen Kopf gegangen: Verschwörungsideolog*innen haben eigentlich einen sehr angenehmen Umgang mit der Krise. Sinken die Fallzahlen, kann man als Verschwörungsideolog*in einfach sagen, dass das ganze nur ein Manöver war, um die Menschheit zu versklaven, Bargeld abzuschaffen, die Impflicht einzuführen oder Babies in Adrenochrom zu verarbeiten. Eigentlich könnte man sich ja freuen, dass die schmerzhaften Massnahmen offenbar funktioniert haben. Falls die schlimmsten Befürchtungen eingetreten wären, hätte man etwas von Bevölkerungsreduktion oder sonstigen finsteren Plänen raunen dürfen. Für jedes Bedürfnis gibt es eine Verschwörungstheorie in irgendeiner Geschmacksrichtung. Alles ist mit dem eigenen Weltbild vereinbar. Die eigene Verschwörungstheorie bestätigt sich und gewinnt immer.

Und genau das macht Verschwörungstheorien so gefährlich. Irgendwie ist alles mit dem eigenen Weltbild vereinbar und es ist zumindest theoretisch möglich, dass tatsächlich böse Absichten hinter dem stecken was passiert. Daraus folgt aber eben nicht, dass die Verschwörungstheorie wahr ist.

Dienstag, 7. April 2020

Review: "Unorthodox (2020)" + Replik an Wolffsohn und Posener

 Die vierteilige Miniserie "Unorthodox" die seit kurzem auf Netflix zu sehen ist, basiert lose auf der Autobiografie von Deborah Feldmann. Esther "Esty" Shapiro wächst in Williamsburg, einem Stadtteil in Brooklyn in einer hassidischen Sekte auf. Die Gruppe ist der Überzeugung, dass die Shoa eine Strafe Gottes gewesen sei und man sich noch strenger an das Gesetz Gottes halten muss, um überhaupt eine Chance vor Gott zu haben. Gleichzeitig gibt es einen ganz drastischen Fokus darauf die "sechs Millionen wieder auszugleichen". Esty wird also mit 17 Jahren verheiratet, wird aber nicht sofort schwanger, was zu grossem Konflikt führt. Ihr Mann spricht sogar von Scheidung. Da Esty als Nachfahrin von deutschen Juden ein Recht auf einen deutschen Pass hat, lässt sie sich einen solchen ausstellen und geht nach Berlin. Dort geht das Drama erst richtig los.

Der Historiker Michael Wolffsohn schrieb in seiner Rezension zum Film folgendes:
Ich zweifele keine Sekunde daran, dass Deborah Feldman all das wirklich erlebt hat und ähnliche Ungeheuerlichkeiten in anderen orthodoxen Gemeinschaften, jüdischen und nichtjüdischen, geschehen, aber hier wird die Perversion der Religion als vermeintlich allgemeine Normalität der Religiosität dargeboten. Dass es jüdisch-innerreligiöse, auch innerorthodoxe Gegenargumente und Weltbilder gab oder gibt, können die Zuschauer einer solchen Darbietung nicht einmal ahnen, denn welcher Zuschauer könnte Estys Talmudzitat in die jüdische Tradition und Ethik einordnen?
 Wolffsohn kritisiert, dass den Zuschauer*innen der Anschein erweckt werden könne, das Judentum als ganzes wäre lustfeindlich und sexistisch. Ich kann diesen Vorwurf nicht nachvollziehen. 

Spiegel TV müsste jeden Beitrag über wildgewordene Huonder-Katholiken im Bistum Chur mit dem Disclaimer versehen, dass nicht alle Katholik*innen so extrem durchgeknallt sind? Etwas mehr Verantwortung kann man den Zuschauer*innen schon zumuten. Und wer diesen Film so liest, dass das was dort gezeigt wird jüdische Normalität ist, denjenigen kann auch ein Netflix-Filmchen nicht weiterhelfen.

Etwas ist aber sowohl Wolffsohn und mir, unabhängig voneinander aufgefallen. Als Moische zurück zu seiner Familie kommt, spricht der Vater vom "verlorenen Sohn" und spielt damit auf ein Gleichnis aus dem Zweiten Testament an, etwas was ein gläubiger hassidischer Jude garantiert niemals machen würde.

Alan Posener, den ich sehr schätze, schreibt in seiner Rezension, dass antisemitische Klischees bedient werden. Zum Beispiel das ein Charakter als "Mithai" dargestellt wird, der einer "klammen Klavierlehrerin" das Leben schwer macht. Folgende zwei Gedanken dazu: Erstens, gilt man bereits als Miethai, wenn man jemanden auffordert endlich die Miete zu bezahlen, also wenn das bereits reicht Miethai zu sein, dann gute Nacht. Zweitens, selbst wenn wir mal diesen Standard anlegen: Der Onkel von Esty ist scheinbar so offen, dass es zu einem Tauschgeschäft kommt, sodass Esty Klavierunterricht nehmen darf und bei der Miete eine Lösung gefunden wird.

Posener kritisiert weiter, dass Berlin als Zufluchtshafen für Jüdinnen und Juden dargestellt wird. Damit bin ich ebenfalls nicht einverstanden. Erstens sind im Film neben Esty und ihrer Mutter, sowie eine Israelin und einem jüdischen Bordellbesitzer, nur vier Menschen mit einem mutmasslich jüdischen Hintergrund zu sehen, die tatsächlich Zuflucht in Berlin gefunden haben. Zweitens werden antisemitische Übergriffe in Berlin nicht direkt angesprochen, aber muss das ein Film unbedingt? Ausserdem wird das Thema zumindest indirekt angeschnitten. Moische und Yanky laufen ja nicht zum Spass mit Baseballmützen durch Berlin.

Alles in allem ist der Film durchaus sehenswert, Shari Haas hat mir als Esty sehr gefallen, ich bin gespannt ob von ihr noch mehr zu sehen sein wird.