Freitag, 22. November 2013

Review: Der grosse Crash – Margin Call



Eine Firma entlässt fast eine komplette Abteilung. Sogar der Chef der Analysten, der mitten in einer brisanten Berechnung steckt, wird entlassen. Ein junger Analyst führt die Untersuchung weiter und kommt zu einem Ergebnis, was zu einer Sitzung des Verwaltungsrates mitten in der Nacht führt.
Die ganze Szenerie im Film ist immer wieder so absurd. Da gibt es einen Chef der Analysten, der wieder einen Vorgesetzten hat, dieser Vorgesetzte hat wieder einen Vorgesetzten und dieser hat einen CEO. Zuerst lockt der Freund des Analysten den Vorgesetzten ihres Chefs ins Büro, welcher dann den Chef der Risikoabteilung holt. Der dann gleich auch noch einen weiteren Vorgesetzten mitnimmt. Nach einiger Zeit kommt dann auch noch die „Kavallerie“ in Form eines Helikopters, der den Oberhäuptling (Jeremy Irons) zum Firmenhochhaus bringt.
Was dann kommt ist noch absurder. Einige in der Hierarchie sträuben sich gegen harte Strategie des Verwaltungsrates und werden alle nacheinander gefügig gemacht. Die Strategie wird tatsächlich so durchgezogen. Der Markt wird zerstört, Leute werden entlassen, Kapital wird vernichtet, aber Hauptsache, die Firma lebt weiter und die, die noch drin sind gehören zu den Gewinnern. Das sei immer so gewesen und das sei auch in Ordnung so, wird im Film von Personen immer wieder behauptet.
Kevin Spacey spielt (nicht wie in House of Cards) den besorgten, risikobewussten Manager, der aber aufgibt. Wie genau es dazu kommt, sollte man selber im Film nachschauen.
Der Film lohnt sich aber auf jeden Fall.
7/10

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Der große Crash - Margin Call

Freitag, 15. November 2013

Rezension: Michael Mitterauer: Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs


Max Weber stellte sich in den „Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie“ die Frage, welche Umstände Europa zum heutigen Europa werden liessen. Gemäss Michael Mitterauer muss man im Mittelalter ansetzen um Europa verstehen zu können. Ist die Entstehung der Dominanz Europas laut Mitterauer eher auf ökonomische, politische oder religiöse Faktoren zurückzuführen?

Im ersten Kapitel schreibt Mitterauer über die Agrarrevolution im Mittelalter. Dies tut er unter dem Titel „Roggen und Hafer“, weil diese beiden Getreidesorten eine enorme Rolle, besonders im Zusammenhang mit der Dreifelderwirtschaft, gespielt haben. Sie waren eingebunden in ein grösseres System von Viehzucht und Weidelandbewirtschaftung. Dazu gehören aber auch die Entwicklung des schweren Pflugs und eines Transportwesens, namentlich dem verbessertem Pferdewesen, welches wieder mit dem Hafer-Anbau zusammenhing.

Die Familien- und Verwandtschaftsstruktur sind wichtige Unterschiede von Europa beispielsweise mit arabischen Ländern oder China. In islamischen Ländern durfte man Frauen verstossen, wenn sie keinen Sohn gebaren, der dem Vater nachfolgen kann. Das zeigt wie streng und eng diese familiären Verbindungen waren. Mitterauer hält im dazugehörigen dritten Kapitel fest, dass das Christentum im Mittelalter zu lockereren Abstammungsbeziehungen geführt hat, was der Wirtschaft zuträglich war. Arbeit musste nicht mehr unbedingt im Familienverband getan werden, sondern war tendenziell frei verfügbar.

In Kapitel zwei schreibt Mitterauer zur Hufenverfassung, dass die Verwandtschaftszugehörigkeit gesellschaftlich eine untergeordnete Rolle spielte. Massgeblich war die Gutszugehörigkeit und nicht von wem man abstammte und in welche Familie man gehörte. Mitterauer führt die Bedeutung des europäischen Feudalismus in Kapitel vier weiter aus. Diese Ständeverfassung mit allen ihren Widersprüchen und Spannungen habe schliesslich zur Entwicklung europäischen Parlamentarismus geführt.

Es habe zu ebenfalls Spannungen geführt, dass sich universale Ordensgemeinschaften und das Papsttum gegenüberstanden. Dieser Konflikt sei für den europäischen Sonderweg nützlich und prägend gewesen. Was genau „nützlich“ war, das lässt sich aus Mitterauers Ausführungen nicht genug genau erschliessen.

Klar ist hingegen, dass Mitterauer die Kreuzzüge im sechsten Kapitel als ein Ausdruck des europäischen Expansionismus sieht. Für die expansionistischen Bestrebungen der italienischen Seerepubliken verwendet Mitterauer den Begriff „Protokolonialismus“.

Das letzte Kapitel befasst sich grob gesagt mit Massenkommunikation. In China und in den arabischen Ländern galt Schrift und insbesondere Handschrift  lange als etwas Besonderes, wenn nicht sogar etwas Heiliges. So hatte man in islamischen Ländern Vorbehalte gegen den Buchdruck. Natürlich gab es auch liberalere Kalifen, welche die Wichtigkeit des Buchdruckes sahen, aber eine solche Buch- und Lesekultur entsteht nicht sofort, hält auch der Autor fest.

Der Buchdruck wird von Mitterauer mitverantwortlich gemacht für die Reformation. Die Verfügbarkeit von vielen gedruckten Texten führte dazu, dass man Instruktionen und Regeln verbreiten konnte. So konnte sich auch eine „Bürokraten und Beamtenkultur“ bilden.

Der Buchdruck verdrängte Latein in weiten Teilen und verstärkte die Volkssprachen.

Die obige Frage, ob eher ökonomische, politische oder religiöse Faktoren den europäischen Sonderweg geprägt haben, ist meines Erachtens falsch gestellt. Mitterauer macht unmissverständlich klar, dass diese Umstände unglaublich komplex sind, weil sie alle mit einander verkettet sind.

Ebenfalls spricht Mitterauer kaum von „Faktoren“ sondern vom Begriff der „Faktorenbündel“. Dieser Begriff wird seinem oben erläuterten Denken eher gerecht.

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Warum Europa?: Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs

Mittwoch, 13. November 2013

Nicht-anthropozentrische Historiografie (Grobentwurf)



In den letzten Sitzungen des Proseminars im Rahmen des Geschichtsstudiums sprachen wir über Eurozentrismus. Wir sprachen über feministische Ansätze zur Geschichte. Es ist also ein wichtiges Thema (nicht nur) in den Geschichtswissenschaften aus seiner eigenen Sicht, zumindest teilweise, herauszutreten und auch für andere Perspektiven auf die Geschichte offen zu sein.
Ein relativ junges neues Forschungsfeld sind die Human-Animal-Studies. Dieser Ansatz kritisiert den Anthropozentrismus in den Sozial- und Geisteswissenschaften und somit auch in den Geschichtswissenschaften. Interessanterweise stammen viele Forschende in diesem Bereich aus den Gender Studies.
Den meisten Leuten leuchtet ein, dass es Sinn macht Tiere in die Geschichtsschreibung miteinzuschliessen. Was dann aber dargestellt wird, ist dann eine Geschichte zur Beziehung der Menschen zu den nichtmenschlichen Tieren. Das wäre aber nichts anderes als eine Ideengeschichte, was wiederum nichts Neues wäre.
Ich schlage also den Begriff der „Tiergeschichte“ („Animal-History“) vor, auch wenn dieser zu weiteren Problemen führt. Im Grunde sind ja Menschen auch Tiere und wären somit eingeschlossen, was ich ja eigentlich vermeiden will. Der Einfachheit halber verwende ich „Tiergeschichte“ anstatt von anderen möglichen Ausdrücken wie „nicht-menschliche Tiergeschichte“. Möglicherweise taucht irgendwann auch ein neutraler Begriff auf. Aber im Grunde ist die Unterteilung Mensch und nicht-menschliche Tiere auch schon selber relativ naiv, weil im Begriff „nicht-menschliche Tiere“ Millionen von Spezies eingeschlossen sind, die menschliche Zahl weit übertreffen. Diese Diskussion müssen wir aber in einem weiteren Essay weiterführen.
Analog zur Geschlechtergeschichte schlage ich eine „Speziesgeschichte“ vor, welche sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und nicht-menschlichen Tieren beschäftigt. Wie bei der Frauengeschichte und der Geschlechtergeschichte, braucht eine Klasse eine eigene Geschichtsschreibung und kann gleichzeitig eine haben, welche sich mit den Verhältnis von anderen Klassen kümmern kann.
Wo also ansetzen? Bekanntlich hinterlassen nichtmenschliche Tiere keine schriftlichen Quellen. Nur ignoriert man ja auch nicht nicht-schreibkundige, arme Bauern im Mittelalter. Für solche Schichten interessiert man sich ja heute besonders.
Wenn etwas von der Annales-Schule geblieben ist, dann ist es die Forderung nach Methodenvielfalt. Dieser Appell zu Methodenvielfalt hat die feministische Geschichtsschreibung beeinflusst und sollte meiner Meinung nach auch die nicht-anthropozentrische Historiografie inspirieren. Man muss kreativ sein, denn klassische schriftliche Quellen sind nicht vefügbar.
Ein möglicher Ansatz ist die bestehende Archäozoologie, welche aber bisher immer wie oben kritisiert die Beziehung zwischen Mensch und nichtmenschlichem Tier beobachtet. Hier muss also tendenziell auch einmal Forschung betrieben werden, die eben keine anthropozentrische ist. Was ich hier fordere ist keine Vermenschlichung der nichtmenschlichen Tiere, aber bis zu einem gewissen Grad sollte man sich in die nichtmenschliche Perspektive begeben.
Ich persönlich finde es auch wichtig an den Kern des Problems zu kommen: Es braucht keine Sprache oder eine praktische Vernunft für ein historisches Bewusstsein. Auch nicht-intentionale Aktionen können die Geschichte in die eine oder die andere Richtung bewegen. Viele Autoren fassen diese verfehlte Einstellung mit dem Begriff des „Logozentrismus“ zusammen.
Welchen Fragen sollte sich eine solche Speziesgeschichtsschreibung, die ich oben skizziert habe, stellen? Aus meiner Sicht ist eine der interessantesten Fragen: Was war zuerst vorhanden? Die Unterdrückung der Tiere oder gab es dazu vorher eine Ideologie?
Die Frage impliziert, dass es praktisch zwei Lager gibt: Das eine moralphilosophische Lager, das behauptet, dass die Ideologie, dass Tiere grundsätzlich unter dem Menschen stehen (der sogenannte Speziesismus) zuerst existiert und die Menschen daher die anderen Tiere unterdrücken und ausbeuten. Das zweite Lager ist ein marxistisch inspiriertes Lager, welches behauptet, dass die Ideologie entstanden ist, weil nicht-menschliche Tiere ausgebeutet und unterdrückt werden müssen.
Diese beiden Ansätze haben sicher ihren Platz verdient, nur sind beide sehr theoretisch. Hier kommt nun die „Speziesgeschichte“ ins Spiel. Sie muss sich nun mit der Frage beschäftigen, ob man konkrete Belege für diese zwei Ansichten gibt oder ob es vielleicht sogar eine dritte Möglichkeit gibt.
Eine „Tiergeschichte“ wird wohl an einem ähnlichen Punkt zum Ansetzen wählen, nur wird sie die Perspektive der nicht-menschlichen Tiere einnehmen. Oder grundsätzlich kann man sich in der „Tiergeschichte“ fragen wie das Leben für nicht-menschliche Lebewesen war. Die Archäozoologie könnte hier beispielsweise Belege liefern, beispielsweise mit detaillierten Knochenanalysen.

Bibliografie

Fudge, Erica: A Left-Handed Blow. Writing the History of Animals, in: Nigel Rothfels (Hg.): Representing Animals, Bloomington 2002, S.3-18.
Bellanger, Silke/Hürlimann, Katja/Steinbrecher, Aline (Hg.): Schwerpuntktheft. Tiere – eine andere Geschichte“, Traverse 3, 2008.
Roscher, Mieke: Where ist he animal in this text? Chancen und Grenzen einer Tiergeschichtsschreibung, in: Chimaira - Arbeitskreis für Human-Animal Studies (Hg.): Human-Animal Studies. Über die gesellschaftliche Natur von Mensch-Tier-Verhältnissen, Bielefeld 2011, S.121-150.