Donnerstag, 14. Januar 2016

Zur Frage der Selbstbestimmung der Schweiz

Die Schlacht am Morgarten (1470) von Bendicht Tschachtlan. - Tschachtlanchronik, Zentralbibliothek Zürich. Gemeinfrei über Wikimedia Commons.
SVP-Nationalrat Lukas Reimann veröffentlichte auf der SVP-Homepage einen ausführlichen Artikel zur Schweizerischen Geschichte, mit dem Ziel für die sogenannte "Selbstbestimmungs-Initiative" zu werben. Klar, dass mich das angehenden Historiker sofort anzieht!

Mit der Geschichte zu argumentieren halte ich für heikel. Egal von welcher politischen Seite man kommt. Aber je weiter ein Ereignis zurückliegt desto absurder werden die Argumentationen.

Zu Beginn des Textes stellt Reimann die Selbstbestimmungsinitiative mit historischen Ereignissen:
Im vergangenen Jahr gedachten wir den geschichtlichen Ereignissen von 1315 (Schlacht am Morgarten), 1515 (Schlacht bei Marignano) und 1815 (Wiener Kongress). Und schon bald könnte ein Ereignis von ähnlich grossem Gehalt anstehen: Die Selbstbestimmungs-Initiative!
Zuerst einmal: Wer ist ist "wir"? Ich habe nicht einer Schlacht die 700 Jahre zurückliegt gedacht, mit der ich weniger zu tun habe als heutige Konflikte. Ich meine es gibt sogar Zweifel darüber wie oder ob die Schlacht von 1315 überhaupt stattgefunden hat. Und vor allem was habe ich als Ostschweizer damit zu tun? Selbst wenn das keine Rolle spielt, könnte es sogar sein, dass meine Vorfahren auf Seite der Habsburger gekämpft habe.

Das Gleiche gilt für Marignano. Dazu hatte ich mich bereits in einem anderen Post geäussert. Mein Leben hat mit dem Leben eines Bauernbundes aus dem 16. Jahrhundert herzlich wenig gemein. Das Ereignis dieser Daten, was die "Schweiz" am meisten verändert hat, ist vielleicht gerade noch der Wiener Kongress.

Grundsätzlich fällt auf, dass Menschen in jeder Epoche einfach ihre Überzeugungen auf die Geschichte projeziert haben und dann so etwas wie ein Impetus zu finden für die Zukunft. Bisher ist das m.E. immer gescheitert.

Und dann wird diese unsägliche Initiative auf dieses historische Podest gehoben. Ich befürchte aber, dass Reimann mit dieser Einschätzung nicht einmal unrecht hat. Die Initiative würde die Aussenbeziehung historisch verändern. Aber zum Schlechten.

Reimann zitiert den Nobelpreisträger Carl Spitteler. Der Ausschnitt ist bemerkenswert, da Spitteler sich für Pluralismus und gleichzeitig Einigkeit starkmacht. Über den Willen der SVP Pluralismus in der Schweiz, abseits von Sprachen und christlichen Konfessionen, zu verteidigen, bestehen meines Erachtens nach Zweifel.

Dann lässt Reimann eine Behauptung vom Stapel, die ich als unhaltbar einstufe:
Bei fast allen politischen Sachgebieten haben heute nicht mehr das Schweizer Volk und von ihm ausgehend die Schweizer Richter und die Schweizer Regierung das letzte Wort, sondern ausländische Bürokraten und Richter.
  Beispielsweise kommt mir nicht in den Sinn, wann sich die EU oder "das Ausland" in städtische Entscheide bei mir zuhause in Wil eingemischt hat. Oder ist Wil schon nicht mehr "die Schweiz". 

Aber geben wir Reimann den "benefit of doubt". Es ist und bleibt einfach eine Behauptung für die Reimann jedwege Erklärung schuldig bleibt.

Reimann kritisiert das Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und seine "ausländischen Richter". 

Zuerst einmal: Die Schweiz darf wie alle Staaten im Gerichthof eineN RichterIn stellen. Momentan ist das für die Schweiz Helen Keller. Als kleiner Staat ist die Schweiz am Gericht sogar überproportional vertreten. Grosse Staaten wie Deutschland dürfen ebenfalls nur eine Person stellen.

Und zweitens: Der EGMR schützt das Individuum vor der Willkür des Staates. Wenn zum Beispiel Lukas Reimann aus unerfindlichen Gründen von allen Instanzen verurteilt wird, zum Beispiel, weil er etwas gesagt hat, was den Behörden in der Schweiz nicht passt, dann kann er Hilfe beim EGMR holen wenn er will. Ich kann nicht verstehen, wie Reimann hier dagegen sein kann.

Und drittens: Wir glauben nicht, dass Staaten die Menschenrechte selber einhält. Ich meine nicht einmal die Schweiz hält sich immer daran. Wie sollen wir Menschenrechtsverstösse anderer Länder ahnden, wenn die Schweiz selber nicht bereit ist, selber geahndet werden zu können.

Und viertens: "Wir" sind doch von den Menschenrechten durch und durch überzeugt. (Obwohl bei der SVP bin ich mir nicht immer sicher.) Ist es nicht selbstverständlich, dass man versucht diese zu verwirklichen und man sich über Kritik vom EGMR offen zeigt, weil man ja "besser" bei Menschenrechtsbelangen werden will?

In letzten Abschnitt schreibt Reimann plötzlich: "Der politischen Elite ist die Direkte Demokratie schon lange ein Dorn im Auge[.]" Wer ist diese Elite. Reimann weiter: "Dafür seien doch Experten, Gelehrte, Richter und sie – die Elite – da." Selbst hier wird nicht klar, wer diese "Elite" sein soll. Ist es eine verschworene Reihe von Hintermännern* die in Hinterzimmern ihre bösen Pläne schmieden. Der Ausdruck lässt alles offen. Man könnte sogar seine Verschwörungsideologien von Bilderbergern, Illuminaten, Freimaurern, Reptiloiden, Nazis vom Mond oder den Juden hier reinprojezieren. Auf jeden Fall sind solche offen formulierten Ausdrücke sehr gefährlich.

Wir wissen aber auch, dass es bei jüngeren SVPlern einen Hang zu Verschwörungstheorien gibt. Beispielsweise beim JSVP-Präsi Liebrand, der sich wegen 9/11 "nicht sicher" ist oder sich bei "Anti-Bilderberger"-Aktionen beteiligt. Oder ein Kantonsratskandidat aus Schänis der ganz offen dazu steht, dass er ein Verschwörungsideologe ist. Ich sag jetzt aber nicht, dass alle SVPler (geschweige denn Lukas Reimann) eine solche Tendenz haben, Herbert Huser von der SVP St. Gallen hat sich sogar explizit von den Aussagen distanziert.

Reimanns Geschwurbel rund um eine angebliche Elite, die sich gegen "das Volk" verschworen hat, sind aber nicht minder heikel.

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