Donnerstag, 26. Februar 2015

Nur Fasnachtsscherz? - Kommentar zum Antisemitismus-Vorfall beim FC Luzern

Die Aktion. (Ursprünglich auf fan-fotos.ch gefunden, mittlerweile dort gelöscht.)
 Was war da los?
Am Sonntag den 15. Februar spielte der FC Luzern auswärts gegen den FC St. Gallen. Die beiden Clubs pflegen mittlerweile eine Rivalität. Ausserdem befindet sich der FC Luzern seit einer gefühlten Ewigkeit auf dem letzten Platz. Die Lage ist brisant. Doch was dann passiert ist abscheulich: Ein Luzerner verkleidet sich als Juden mit Schläfenlocken, Hackennase, Bart, Brille, Hut und Anzug. Dazu trägt er einen FC St. Gallen-Schal. Es handelt sich um eine Anspielung  auf den Fangesang über die "Juden von St. Gallen."

Was ist Antisemitismus?
Die meiner Meinung nach beste Definition für Antisemitismus findet sich auf der Website des European Forum on Antisemitism. Sie lautet:
 "Der Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und / oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen." (Quelle)
 Beim Spiel gegen den FC St. Gallen handelt es sich um eine Rivalität. Das man sich als Juden verkleidet und einen Schal des Gegners anzieht ist sicherlich nicht als Kompliment zu verstehen. Man will den gegnerischen Anhang beleidigen, indem man sie als "Juden" bezeichnet. Offensichtlich ist es für diese Personen etwas schlimmes jüdisch zu sein. Es handelt sich hier also um eine antisemitische Tat.

Der stereotype Jude mit St. Gallen-Schal in der Nahaufnahme (Quelle unbekannt.)

 Ist es wieder hip antisemitisch zu sein?
Es gehört zum Fussball und anderen Sportarten, dass man gewisse Rivalitäten pflegt. Klar ist auch, dass es bei Beleidigungen immer wieder zu Grenzüberschreitungen kommt. So auch hier. Es kann nicht sein, dass "Jude", aber auch andere Worte wie "schwul" oder "behindert" als Schimpfwort benutzt werden. 

Ich stelle allgemein fest, dass auch in der Schweiz der Antisemitismus steigt. Gerade im Internet ist die Hemmschwelle massiv gesunken die Schoa zu leugnen oder "umzudeuten", wie man so schön sagt. Gerade unter Leuten die sich stark mit den Palästinenser solidarisieren sind Hitler-Fotos mit widerwärtigen Sprüchen über Jüdinnen und Juden oft zu finden (vgl. auch meinen Artikel über die Seite Killuminati und ihre Fans).

"Bloss ein Fasnachtsscherz" und andere Ausreden
Als ich mich mit Freunden darüber unterhalten habe, hörte ich schnell "Es ist Fasnacht!" Stimmt das so? Darf man in der Fasnacht alles? Wann ist ein Witz über oder eine Darstellung von Juden antisemitisch?

Man kann ganz Witze über Juden machen. Juden machen ständig Witze über sich und ihr Schicksal. Zum Beispiel diesen Witz, den ich seit einiger Zeit als meinen Lieblingsjudenwitz bezeichnen würde:
Im Jahre 1938 sitzen einander in der New Yorker U-Bahn zwei gerade eingewanderte deutsche Juden gegenüber. Der eine liest Der Stürmer, das Hetzblatt Julius Streichers. Der andere liest die jüdische Zeitung, den Forvertz, und wird allmählich aufgeregt. Endlich fragt er seinen Landsmann, „Wieso lesen Sie dieses furchtbare Blatt? Es ist nur reiner Antisemitismus, Judenhatz.“ Der erste Jude guckt vor sich hin. Er sagt: „Schauen Sie. Was steht in Ihrer Zeitung? Überall sind die Juden Flüchtlinge. Man verfolgt uns. Man wirft Steine und Bomben in die Synagogen. Ich lese die Nazi-Zeitung, denn sie ist zuversichtlicher. Wir besitzen die Banken! Wir besitzen die großen Firmen! Wir beherrschen die Welt!“
 Hingegen sind Witze die sich zum Beispiel um die angebliche Geldgierigkeit der Juden drehen antisemitisch. Und diese Witze sind sehr verbreitet, einen solchen Witz hat mir meine Tante als kleines Kind erzählt und ich habe ihn damals überhaupt nicht verstanden. Sie musste mir erklären, dass "Juden ja so geldgierig sind." Der Witz war ausserdem unglaublich schlecht.

Witze die einfach nur versuchen Juden stereotyp darzustellen sind m.E. antisemitisch. Inwiefern das dann strafrechtlich relevant wird, ist eine andere Sache. Interessant ist zum Beispiel die Debatte über den "Komiker" Dieudonné in Frankreich (Kommentar in der taz zum Beispiel.) Dieser versteckt sich hinter der recht einseitig ausgelegten Künstlerfreiheit, deutet die Schoa um und freut sich halb-heimlich über den Anschlag auf den koscheren Supermarkt in Paris nach dem Anschlag in Paris Anfang dieses Jahres.

Mittwoch, 25. Februar 2015

Was macht Wil falsch, was Schaffhausen richtig macht?

Das geplante Stadion in Schaffhausen (Quelle: Werbematerial der BefürworterInnen)
Der Blick nach Schaffhausen: Am 8. März stimmt man in der Stadt Schaffhausen darüber ab, ob zwei Millionen Franken (plus 60'000 Franken jährliche Betriebskostenbeteiligung) bewilligt werden von Seiten der Stadt. Der Rest des 50 Millionen Projekts (wovon 16 Millionen auf das Stadion fallen) wird  von privater Seite zusammengebracht. (Quelle)

Zum Vergleich: In Wil musste der FC Wil gerade einmal knapp eine (!) Million beitragen, während die Stadt und der Kanton den Rest der elf Millionen Baukosten das Stadions bezahlt hat. (Quelle)

Und das Sahnehäubchen oben drauf: Das Bergholz des FC Wils ist, im Gegensatz zu dem neuen FCS-Stadion, nicht einmal NLA-tauglich!

Wer dem Vorschlag in Schaffhausen nicht zustimmt ist selber schuld.

Montag, 23. Februar 2015

Lepraoperation oder 20 Franken einsacken? - Ein merkwürdiges Experiment

Röntgenbild einer an Lepra erkrankten Person (CC 2.0 Major Buker O.S.G)
Ich nehme gerne an Experimenten teil, die an der Uni zum Beispiel am Institut für Volkswirtschaftslehre vergeben werden. Man verdient gutes Geld und es macht meistens auch Spass. Eigentlich nicht weiter erwähnenswertes. Nun aber heute ein weiteres Experiment, das mich sehr nachdenklich gemacht hat. Ich verstehe diesen Text auch als Selbsttherapie.

Ausgangslage
Das Experiment ist im Grunde ein ganz gewöhnliches. Man sitzt vor einen Computer und wird dann jeweils virtuell und zufällig zu Zweierpärchen zusammengesetzt. Am Anfang wird festgelegt, ob man Person 1 oder Person 2 ist. Person 1 ist in einer eher passiven Rolle, spielt zwar mit, aber die Entscheidungen spielen keine Rolle. Es geht darum, dass man sich zwischen Alternative A und Alternative B entscheiden kann. Wenn man Alternative A wählt, wird einem Leprakranken in Indien über die Hilfsorganisation FAIRMED eine Operation im Wert von etwa 60 Franken (Kosten sind abhängig von Fall zu Fall und Schwere der Verletzungen) gewährt. Wenn man Alternative B wählt, dann erhält Person 2 den Betrag X, wobei X zwischen 20 und 0 Franken liegt und Person 1 erhält 20-X Franken. Gespielt wird jeweils in Runden, wovon es zehn Stück mit jeweils neu zugelosten Partnern gibt. Von diesen Runden wird dann eine zufällig ausgewählt und von diesen dann wiederum eine Entscheidung. Also finden bei 34 Probanden maximal 17 Operationen statt.

Was verändert eine Operation?
58% (127 295 registrierte Fälle!) der Neuerkrankungen finden in Indien statt. Gerade dort werden Leute mit Verstümmelungen wegen Lepra, oft ausgegrenzt und leiden ein Leben lang darunter. Eine Operation kann dieses Leid oft deutlich senken. Wohlgemerkt behandelt man mit dieser Operation nicht die Krankheit selber, sondern minimiert die Sichtbarkeit der Verstümmelungen. Verstümmelungen kommen übrigens bei 4% der Erkrankten vor.

Die Kernfrage: Ich oder die Operation?
Ich (als Person 2) kann mich also zwischen zwei Dingen entscheiden. Entweder ich gewähre der kranken Person eine Operation (Alternative A), oder ich nehme die 20 Franken und teile diesen Betrag ggf. noch mit Person 1 (Alternative B). Wenn wir jetzt daran denken, dass die Studienleitung bei Alternative A tatsächlich eine Operation für ca. 60 Franken finanziert, wirkt die Entscheidung extrem irrational. 

Stellen wir uns das einmal bildlich vor. Wir haben in der Mitte eine Kiste, darin befinden sich 60 Franken, die von der Studienleitung bereitgestellt wurden. Auf der einen Seite stehen ich und mein Partner und auf der anderen Seite steht einE LeprakrankeR, der das Geld für eine Operation braucht. Entscheide ich mich wirklich für Alternative A, dann nehme ich quasi 20 Franken aus der Kiste und teile diese 20 Franken ggf. noch mit der Person 1 und 40 Franken gebe ich an die Studienleitung, obwohl ich auch der erkrankten Person die Operation mit dem Geld in der Kiste bezahlen könnte?

Meine Überlegungen
Ich selber war ja Person 1, konnte also nur konsultativ an Entscheidung Alternative A oder B teilnehmen. Aber es war für mich glasklar: Ich habe mich immer für Alternative A entschieden, egal wie hoch X auch war. Denn es kann ja nicht sein, dass mein Interesse etwas mehr Geld zu haben, dass ich für lächerliche Dinge ausgebe, um mir etwas Freude zu machen, niemals mit dem Leid verglichen werden kann, dass beim Leprakranken verhindert wird.

Das Experiment konkret
Ich dachte eigentlich als Gutmensch, dass sich die anderen Teilnehmenden ähnliche Gedanken machen würden. Falsch gedacht. Nach zehn Runden stand es 5:5. Also hatten sich fünf Personen dafür entschieden der erkrankten Person die Operation zu verweigern und stattdessen einen vergleichsweise kleinen Betrag zu kassieren. Fünf hatten sich dagegen entschieden, aber auch vielleicht nur, weil X so unverlockend war für sie.

Konkret sah bei mir dann die Abrechnung so aus: 15 Franken (Mindesthonorar) + 16 Franken (20-X), also insgesamt 31 Franken. Obwohl ich nichts entschieden habe, fühlte ich mich sehr schlecht.

Dienstag, 17. Februar 2015

Yalla! - Ein Reisebericht über Israel - Februar 2015

Eine Israelfahne, gefunden am Fuss des Ölbergs. (CC BY-NC-SA 4.0: Johannes Leutenegger)
Israel und die Schweiz sind ja gar nicht so verschieden, könnte man auf den ersten Blick meinen. Beide verfügen über etwa acht Millionen Menschen und haben eine grosse Einwanderung. Ausserdem sind beide Länder gut entwickelt, beide sind mehrsprachig (Israel hat Hebräisch und Arabisch als Amtssprachen). Und sowohl in Israel und als auch in der Schweiz nimmt die Armee eine besondere Stellung ein. Aber die Situation in der beide Länder stecken ist eine ganz andere. Israel wird praktisch seit der Staatsgründung sowohl militärisch als auch terroristisch bedroht, ganz anders als die Schweiz, die wohl auch in absehbarer Zeit keine solchen Probleme haben wird. Der Staat Israel investiert jährlich 16,5 Milliarden Dollar in ihr Militär. Das entspricht unglaublichen 6,9% ihres BIP. (Zum Vergleich sind es bei der Schweiz ca. 5 Milliarden, was ungefähr 0,8% des BIP beträgt.)

Ist Israel wenigstens ein Staat indem ethnische Gruppen und Leute mit verschiedenen Sprachen friedlich zusammenleben? Wie leben AraberInnen in Israel? Diese Frage lässt sich nicht so einfach mit einem Satz beantworten. In diesem Text soll diese Frage daher genauer angeschaut werden.

Politische Rechte
Ich wurde von einem Freund gefragt, was ich denn mit "israelischen Arabern" meinen würde, als ich über meine Erfahrungen gesprochen habe. Wenn wir Europäer nach Israel schauen, dann sehen wir meistens den Konflikt im Westjordanland und vor allem denjenigen in Gaza. Araber kämpfen mit allen Mitteln gegen das israelische Militär. Ist es also nicht ein Widerspruch von "israelischen Arabern" zu sprechen. Die Situation ist weitaus komplizierter. Alle Araber, die in Israel geboren wurden, sind auch israelische Staatsbürger. Das ist einmal das eine. Viele dieser Leute fühlen sich auch als Israeli, möchten ernstgenommen werden und wollen politisch mitentscheiden. Dies belegt eine Studie des Israeli Democracy Institutes.
65% der AraberInnen sind stolz Israelis zu sein, während sich 59% von ihnen als Teil Israels sehen. (Quelle: IDI-Studie, S. 59.)
Israel gilt als einzige Demokratie im Nahen Osten. Und das stimmt m.E. auch. AraberInnen mit israelischer Staatsbürgerschaft haben die absolut gleichen politischen Rechte wie jüdische Israelis. Araber können sogar Staatspräsidenten oder sogar Premierminister werden. Diese Gleichstellung zweifelt, soweit ich beurteilen kann, keine einzige Partei im Knesset an. Sogar der Begründer des Revisionistischen Zionismus Vladimir Ze'ev Jabotinsky unterstützte dieses Anliegen. In Israel können alle ihre Meinung frei äussern, auch AraberInnen. Von diesen Rechten haben die Araber auch Gebrauch gemacht. Immerhin stellen sie 20,7% der Bevölkerung, Tendenz steigend. Klar haben sie mittlerweile spezielle Parteien gegründet, die ihre speziellen Interessen erreichen sollen.

AraberInnen und das Militär
In Israel besteht grundsätzlich eine Wehrpflicht für alle, die auch Frauen einschliesst. AraberInnen (also Christen wie auch Muslime) dürfen zwar in der Armee dienen, werden aber nicht aktiv einberufen oder beworben. Das ärgerte einige israelische Araber, die ich getroffen habe mehr oder weniger. Offensichtlich sind sie in dieser Beziehung ihren jüdischen oder drusischen BürgerInnen nicht gleichgestellt. Auf der anderen Seite sind sie natürlich auch froh, dass sie sich den dreijährigen Militärdienst nicht antun müssen.

Verkehrspolizei in Bethlehem in den Palästinensischen Autonomiegebieten. (CC BY-NC-SA 4.0: Johannes Leutenegger)

Innere Streitigkeiten unter AraberInnen?
Die arabischen Interessen als einen Block zu verstehen, ist fahrlässig. Die Interessen der AraberInnen unterscheiden sich diametral bei gewissen Punkten. So gibt es, wie bereits erwähnt, AraberInnen, die einen eigenen Staat haben wollen und diesen mit verschiedenen Mitteln wollen. Ausserdem sieht dieser Staat jeweils anders aus. Die Hamas will zum Beispiel einen islamistischen Staat. Dann gibt es die marxistisch-leninistische PFLP, die sich wiederum in verschiedenste Fraktionen aufgespaltet hat.  Und dann gibt es noch die gemässigtere Fatah, die den "Staat Palästina" mit Mahmud Abbas führt.

Von den knapp anderthalb Millionen AraberInnen in  Israel sind 81,5% Muslime, 10,3% Christen und 8,2% Drusen.  Im Dorf in dem ich sechs Tage lang war, I'billin, gibt es sowohl Christen (katholische, aber auch griechisch-orthodoxe) und Muslime, wobei letztere zahlenmässig über eine leichte Mehrheit verfügen. Man respektiert sich aber im Dorf, hat guten Umgang miteinander, toleriert sich. Aber es ist völlig undenkbar, dass sich die Leute in I'billin besonders die Christen für einen Staat Palästina, wie er jetzt besteht, im grossen Stil begeistern könnten. Erstens ist das Leben in den Autonomiegebieten verglichen mit dem in Israel einfach etwas ganz anderes. Zweitens wissen die arabischen Christen, dass ihre Situation in einem Land, das entweder von der Fatah oder der radikalislamischen Hamas kontrolliert für die als Minderheit in der Minderheit sehr unangenehm wird. Festzuhalten ist, dass die Araber in Israel sicher im Zwiespalt sind. Es ist zwar nicht auszuschliessen, dass sie zu "Patrioten" werden, wie man solche Leute im Dorf mir gegenüber genannt hat, werden, aber sie können auch gerade so gut probieren, ihre Forderungen im israelischen Staat durchzusetzen. Vielleicht geht es in diesem sogar noch besser.

Ich empfand Religion in I'billin allgemein als deutlich anders als bei uns. So äusserte der Schuldirektor des Dorfes am ersten Abend die Meinung, dass man die Religion am Anfang des Lebens bekommt und nicht mehr ablegen oder wechseln kann. (Dies ist auch als Kritik an Teilen der israelischen Regierung zu verstehen, die aus Israel einen "jüdischen Staat" machen wollen. Später mehr dazu.) Mir sagten viele junge Leute, dass sie es mit dem Glauben nicht so eng nehmen, aber sie gehören nun einmal dazu und sehen sich als Teil der chrstlichen Community im Dorf.

Israel: "Staat für Jüdinnen und Juden" oder "jüdischer Staat"?
Die Grundauseinandersetzung zwischen kulturellen (wie angestossen von Achad Ha'am) und politischen Zionisten (wie anfangen von Theodor Herzl) scheint sich heute um die Frage zu drehen, ob man einen jüdischen Staat oder einen Staat für Jüdinnen und Juden will.  Will man einen Staat in dem Juden und Jüdinnen frei leben können, ohne Diskriminierung und Pogrome, der aber grundsätzlich säkular und offen für alle ist, oder will man einen jüdischen Staat, der durch und durch jüdisch-hebräische Kultur verbreitet. Herzl war selber nicht religiös und hat so viele andere Juden brüskiert. Dennoch sah er, dass Antisemitismus nicht nur eine religiöse, sondern auch eine rassische Komponente hat. Die Kultur oder die Religion ist prinzipiell egal, denn es ging/geht darum, dass Juden und Jüdinnen endlich ihr Schicksal selber in die Hand nehmen können.

Wahlen im März 2015
In der Regierungskoalition kam es zu Unstimmigkeiten. Es ging neben Budgetfragen um die "Jewish State"-Vorlage. Diese Gesetzesvorschlag hätte eine massive Diskriminierung der arabischen Bevölkerung zur Folge. Hebräisch wäre beispielsweise die einzige Amtssprache, Arabisch hätte nur noch einen Spezialstatus. Einzelne Minister, wie zum Beispiel die Justizministerin Tzipi Livni, zeigten ihre Ablehnung dieser Vorlage öffentlich. Netanjahu schlug also eine Auflösung der Knesset vor, welche am 2. und 8. Dezember bestätigt wurde. Am 17. März gibt es also Neuwahlen. Die arabischen Parteien haben sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen, da das Quorum für eine Beteiligung an der Knesset erhöht wurde. Das Bündnis hat das erklärte Ziel Netanjahus Koalition zu verhindern. Es wird spannend.

Schluss
Israel ist ein Land voller Widersprüche. Die Konflikte sind komplex. Soweit ich die AraberInnen kennengelernt habe, sind sie keine homogene Gruppe, die sich einstimmig einen eigenen Staat wünscht, geschweige denn den selben Staa, mit den gleichen Leitideen. Viele AraberInnen möchten sich in Israel einbringen, verlangen aber auch, dass sie nicht überall kontrolliert werden, nur weil sie arabisch sind. Aber diese Policy kann sich auch ändern. Israel ist eine Demokratie, Wandel zum positiven ist möglich und wahrscheinlich. Ich hoffe auf dieses Land.

Bibliografie
Brenner, Michael: Politischer Zionismus und Kulturzionismus, 28.03.2008. <http://www.bpb.de/internationales/asien/israel/44945/politischer-und-kulturzionismus>[Stand: 16.02.2015].
Keinon, Herb: US Watchdog. Israel is Mideast’s only 'free' state, 21.01.2013. <http://www.jpost.com/National-News/US-watchdog-Israel-is-Mideasts-only-free-state> [Stand: 16.02.2015].
Krogmann, Andrea:  Junge Schweizer treffen in Israel junge Araber-Christen im schwarzen Mini, 10.2.15. <http://www.kath.ch/newsd/junge-schweizer-treffen-in-israel-junge-araber-christen-im-schwarzen-mini/> [Stand: 17.02.2015]. (Ein Artikel über meine Reisegruppe.)
Pileggi, Tamar:  Jews and Arabs proud to be Israeli, distrust government, 05.01.2015. <http://www.timesofisrael.com/jews-and-arabs-proud-to-be-israeli-distrust-government/> [Stand: 16.02.2015].

Montag, 2. Februar 2015

"aufbruch" über GBS-Projekte - Eine Entgegnung

"Halbierte Vernunft"?
In der aktuellen Ausgabe des "aufbruch" (30. Januar 2015) ist ein Artikel über die Projekte von gbs-Schweiz. Das "aufbruch" ist eine reform-katholische Zeitschrift. Meine Mutter erhält die Zeitschrift jeweils mit der ebenfalls reform-katholischen Zeitschrift "publik-forum". Das Profil der beiden Zeitschriften ist also eher vatikankritisch und liebäugelt tendenziell auch mit den Befreiungstheologen in Südamerika. Das publik-forum hatte auch schon einmal eine Sonderausgabe mit dem Thema "Heilen" herausgegeben, die in meinen Augen klar esoterisch einzustufen war.

Nun hat aufbruch also über die gbs geschrieben. Der Artikel beleuchtet den evolutionären Humanismus, den die gbs vertritt. Mit möglichst rationalem Denken und Handeln, sollen die Lebensverhältnisse verbessert werden. Soweit so gut.

Im zweiten Abschnitt kommt zuerst die katholische Theologin Janique Behman zur Sprache. Ich schätze sie sehr, so ist sie beispielsweise Veganerin und vertritt diese Haltung auch öffentlich zum Beispiel in Reden und vermutlich auch in Predigten. Das als allererstes gerade die "Gegenseite" das Wort hat, also niemand von der gbs selber, hat mich nachdenklich gemacht. Sie kritisert, dass der Mensch mehr ist als Effektivitöt und Nützlichkeit. Ich glaube, dass ist wiederum ein grösseres Missverständnis, welches bei utilitaristischen Ethikmodellen vorgebracht wird. Es ist absolut klar, dass auch Musik, Literatur, Kultur und Dinge die Spass machen einen Nutzen haben. Es muss mir gut gehen, nicht nur, aber auch gerade weil ich ansonsten wohl kaum effektiv anderen helfen kann. Ausserdem schmerzt es die Wenigsten 10% ihres Einkommens zu spenden. Im Gegenteil: Spenden und rational zu Handeln um die Welt besser zu machen, kann durchaus sinnstiftend sein und glücklich machen.

Dann kommt Odilo Noti, seines Zeichens nach ebenfalls Theologe zu Wort. Der evolutionäre Humanismus sei "szeintistisch" und "betrachtet Religion als eine Form der Magie". "Szienzistisch" ist für mich in diesem Kontext ein Kampfbegriff, daher werde ich auf diesen nicht weiter eingehen. Dass die gbs "naturwissenschaftsgläubig" ist, wie es Noti es umschreibt, stimmt aber und das ist auch gut so. Religion kann durchaus auch etwas sinnstiftendes sein, aber wir müssen einsehen, dass die Naturwissenschaften für die Lösung unser Probleme besser geeignet ist, als ein tausende Jahre altes Buch. Eine moderne Ethik muss ohne Dogmen auskommen.

Er kritisiert auch "die" Vernunft der gbs als "reduzierte, halbierte und nicht ganzheitliche". Es gäbe nämlich eine sog. "Wirklichkeitserfahrung" die nicht-empirisch sei. Manchmal habe ich das Gefühl hier würde ein Naturheilpraktiker sprechen und nicht ein akademisch ausgebildeter Geisteswissenschaftler. Wie zum Teufel sollen wir sonst Informationen aufnehmen, wenn nicht empirisch? Durch Offenbarung?

Dann darf Reta Caspar von der Freidenker Vereinigung etwas dazu erklären. Dazu werde ich nichts kommentieren. Micha Eigenmann von der gbs wird auch genannt. Zitiert wird er aber nicht. Über die Gründe weiss ich nichts.

Im nächsten Abschnitt kritisiert Caspar, dass die gbs sich im Gegensatz zu den Freidenkern kaum für Säkularität engagiert. Denn die gbs interessiert sich tatsächlich hauptsächlich für Projekte im Bereich der Ethik. So gibt es beispielsweise das Projekt REG (Raising for Effective Giving), welches massiv angegriffen wird. REG hat zum Ziel, Pokerprofis dazu zu bringen einen Prozentsatz ihrer Gewinne zu spenden. So geschehen zum Beispiel Martin Jacobson, welcher für tierethische Organisationen 250'000 Dollar zusammengebracht hat. Noti hält es für zynisch von solchen Menschen Geld anzunehmen. Was genau daran so schlimm sei am Pokern, wird nicht klar. Für mich ist Pokern ein Sport wie jeder andere.

Im letzten Abschnitt kritisiert Noti, dass die gbs grundsätzlich kein Gespür für die politische Komponente habe bei der Entwicklungszusammenarbeit. Und da hat Noti vielleicht nicht einmal völlig unrecht. Auf den ersten Blick kann es vielleicht so scheinen, dass die gbs sich nicht um Politik und die "Machtfrage" kümmert. Was spricht dagegen etwas von seinen 10% an eine NGO zu spenden, die sich zum Beispiel gegen Korruption engagieren? Damit kann man die Effektivität von Spenden in gewisse Gebiete beispielsweise steigern.

Und in seinem Kommentar schreibt der Autor (Wolf Südbeck-Baur) darüber, dass, weil die "Machtfrage" nicht gestellt wird, die "ungerechte Verteilung in den Händen weniger" bleibt. Hier muss man sich auch fragen, ob die Vermögensverteilung in der Dritten Welt genuin eine Aufgabe von uns Europäern ist. Klar, wir können beispielsweise Länder in Afrika bei der Errichtung einer funktionierenden Demokratie und bei der Bekämpfung der Korruption unterstützen, zum Beispiel finanziell oder mit Know-how. Aber letztlich finde ich es aber sehr paternalistisch, wenn wir dann effektiv anfangen in die Vermögensverteilung in diesen Ländern einzugreifen. Das soll/muss politisch in diesen Ländern entschieden werden.

Eine Anzeige der Caritas.
Ausserdem finde ich, dass dieser imaginäre Graben zwischen der gbs und der Caritas nicht besteht. Auch die Caritas engagiert sich beispielsweise für weniger Fleischkonsum, ähnlich wie die gbs. Ich finde es gehört nicht zum guten Ton über andere Organisationen mit vergleichbaren Zielen herzuziehen. Es besteht hoffentlich nicht so etwas wie eine Konkurrenz. Oder doch?