Mittwoch, 13. November 2013

Nicht-anthropozentrische Historiografie (Grobentwurf)



In den letzten Sitzungen des Proseminars im Rahmen des Geschichtsstudiums sprachen wir über Eurozentrismus. Wir sprachen über feministische Ansätze zur Geschichte. Es ist also ein wichtiges Thema (nicht nur) in den Geschichtswissenschaften aus seiner eigenen Sicht, zumindest teilweise, herauszutreten und auch für andere Perspektiven auf die Geschichte offen zu sein.
Ein relativ junges neues Forschungsfeld sind die Human-Animal-Studies. Dieser Ansatz kritisiert den Anthropozentrismus in den Sozial- und Geisteswissenschaften und somit auch in den Geschichtswissenschaften. Interessanterweise stammen viele Forschende in diesem Bereich aus den Gender Studies.
Den meisten Leuten leuchtet ein, dass es Sinn macht Tiere in die Geschichtsschreibung miteinzuschliessen. Was dann aber dargestellt wird, ist dann eine Geschichte zur Beziehung der Menschen zu den nichtmenschlichen Tieren. Das wäre aber nichts anderes als eine Ideengeschichte, was wiederum nichts Neues wäre.
Ich schlage also den Begriff der „Tiergeschichte“ („Animal-History“) vor, auch wenn dieser zu weiteren Problemen führt. Im Grunde sind ja Menschen auch Tiere und wären somit eingeschlossen, was ich ja eigentlich vermeiden will. Der Einfachheit halber verwende ich „Tiergeschichte“ anstatt von anderen möglichen Ausdrücken wie „nicht-menschliche Tiergeschichte“. Möglicherweise taucht irgendwann auch ein neutraler Begriff auf. Aber im Grunde ist die Unterteilung Mensch und nicht-menschliche Tiere auch schon selber relativ naiv, weil im Begriff „nicht-menschliche Tiere“ Millionen von Spezies eingeschlossen sind, die menschliche Zahl weit übertreffen. Diese Diskussion müssen wir aber in einem weiteren Essay weiterführen.
Analog zur Geschlechtergeschichte schlage ich eine „Speziesgeschichte“ vor, welche sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und nicht-menschlichen Tieren beschäftigt. Wie bei der Frauengeschichte und der Geschlechtergeschichte, braucht eine Klasse eine eigene Geschichtsschreibung und kann gleichzeitig eine haben, welche sich mit den Verhältnis von anderen Klassen kümmern kann.
Wo also ansetzen? Bekanntlich hinterlassen nichtmenschliche Tiere keine schriftlichen Quellen. Nur ignoriert man ja auch nicht nicht-schreibkundige, arme Bauern im Mittelalter. Für solche Schichten interessiert man sich ja heute besonders.
Wenn etwas von der Annales-Schule geblieben ist, dann ist es die Forderung nach Methodenvielfalt. Dieser Appell zu Methodenvielfalt hat die feministische Geschichtsschreibung beeinflusst und sollte meiner Meinung nach auch die nicht-anthropozentrische Historiografie inspirieren. Man muss kreativ sein, denn klassische schriftliche Quellen sind nicht vefügbar.
Ein möglicher Ansatz ist die bestehende Archäozoologie, welche aber bisher immer wie oben kritisiert die Beziehung zwischen Mensch und nichtmenschlichem Tier beobachtet. Hier muss also tendenziell auch einmal Forschung betrieben werden, die eben keine anthropozentrische ist. Was ich hier fordere ist keine Vermenschlichung der nichtmenschlichen Tiere, aber bis zu einem gewissen Grad sollte man sich in die nichtmenschliche Perspektive begeben.
Ich persönlich finde es auch wichtig an den Kern des Problems zu kommen: Es braucht keine Sprache oder eine praktische Vernunft für ein historisches Bewusstsein. Auch nicht-intentionale Aktionen können die Geschichte in die eine oder die andere Richtung bewegen. Viele Autoren fassen diese verfehlte Einstellung mit dem Begriff des „Logozentrismus“ zusammen.
Welchen Fragen sollte sich eine solche Speziesgeschichtsschreibung, die ich oben skizziert habe, stellen? Aus meiner Sicht ist eine der interessantesten Fragen: Was war zuerst vorhanden? Die Unterdrückung der Tiere oder gab es dazu vorher eine Ideologie?
Die Frage impliziert, dass es praktisch zwei Lager gibt: Das eine moralphilosophische Lager, das behauptet, dass die Ideologie, dass Tiere grundsätzlich unter dem Menschen stehen (der sogenannte Speziesismus) zuerst existiert und die Menschen daher die anderen Tiere unterdrücken und ausbeuten. Das zweite Lager ist ein marxistisch inspiriertes Lager, welches behauptet, dass die Ideologie entstanden ist, weil nicht-menschliche Tiere ausgebeutet und unterdrückt werden müssen.
Diese beiden Ansätze haben sicher ihren Platz verdient, nur sind beide sehr theoretisch. Hier kommt nun die „Speziesgeschichte“ ins Spiel. Sie muss sich nun mit der Frage beschäftigen, ob man konkrete Belege für diese zwei Ansichten gibt oder ob es vielleicht sogar eine dritte Möglichkeit gibt.
Eine „Tiergeschichte“ wird wohl an einem ähnlichen Punkt zum Ansetzen wählen, nur wird sie die Perspektive der nicht-menschlichen Tiere einnehmen. Oder grundsätzlich kann man sich in der „Tiergeschichte“ fragen wie das Leben für nicht-menschliche Lebewesen war. Die Archäozoologie könnte hier beispielsweise Belege liefern, beispielsweise mit detaillierten Knochenanalysen.

Bibliografie

Fudge, Erica: A Left-Handed Blow. Writing the History of Animals, in: Nigel Rothfels (Hg.): Representing Animals, Bloomington 2002, S.3-18.
Bellanger, Silke/Hürlimann, Katja/Steinbrecher, Aline (Hg.): Schwerpuntktheft. Tiere – eine andere Geschichte“, Traverse 3, 2008.
Roscher, Mieke: Where ist he animal in this text? Chancen und Grenzen einer Tiergeschichtsschreibung, in: Chimaira - Arbeitskreis für Human-Animal Studies (Hg.): Human-Animal Studies. Über die gesellschaftliche Natur von Mensch-Tier-Verhältnissen, Bielefeld 2011, S.121-150.

Keine Kommentare: